– Sprache, Ansprache & Bildsprache

Kulturbetriebe kommunizieren in ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht nur ihre Angebote, wie etwa Ausstellungen, Festivals, Lesungen oder Workshops, sondern transportieren damit indirekt auch ihre Werte und ihre Haltung. Sprache und Zeichen, also etwa Texte oder Bilder, bilden die Wirklichkeit nicht nur ab, sondern prägen auch unseren Blick auf gesellschaftliche Gruppen.

Zwei Frauen in einer Podiumsdiskussion. Die Moderatorin (sitzend) interviewt eine Frau im Rollstuhl.

Stereotype auf der Bühne

Vorstellungen und Darstellungen von Behinderung folgen in unsere Gesellschaft leider oft Stereotypen und Klischees. So werden Menschen mit Behinderung dafür, dass sie ihr Leben „trotz“ einer Behinderung „meistern“, bewundert oder eben bemitleidet.

Nicht nur Film, Medien und TV bedienen mehrheitlich diese Logik, auch im Kulturbetrieb wird Behinderung teilweise „inszeniert“: Sitzt der Romeo im Rollstuhl, spielt die Behinderung die Hauptrolle und nicht der Schauspieler; hat eine Künstlerin eine Behinderung, wird in den Feuilletons in erster Linie das „Trotzdem“, die „Andersbegabung“ oder das „Supertalent“ thematisiert und nicht ihre Kunst an sich. Gleichzeitig tragen aber auch klischeehafte Darstellungen von Behinderungen wie bspw. Autismus, der fast immer in Zusammenhang mit einer Hoch- oder Inselbegabung gezeigt wird (z.B. bei Rain Man, Sherlock Holmes), dazu bei, diese Narrative zu verfestigen.

Darstellung & Begriffe

Es ist wichtig, dass sich Kultureinrichtungen mit Darstellungen, Begriffen, Terminologien und Bildsprache auseinanderzusetzen, um Missverständnisse und Beleidigungen zu vermeiden und nicht Stereotype und Klischees zu reproduzieren.

Fragen Sie Menschen mit Behinderung nach ihrer Selbstbezeichnung. Verwenden Sie keine Ausdrücke wie „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“, „Handicap“ oder ähnliche Umschreibungen, die das Wort „Behinderung“ zu umschiffen versuchen. „Behinderung“ ist keine Beleidigung, sondern eine Bezeichnung, die von den allermeisten Betroffenen genutzt und richtig verstanden wird.

Vermeiden Sie unbedingt „Helden-“ bzw. „Opferdarstellungen“. Behinderung ist kein individuelles Leiden oder Schicksalsschlag, und die betroffenen Menschen sollten daher nicht unter dem Aspekt der Fürsorge, des Mitleids oder der Bewunderung – im Sinne von wie sie „trotz Behinderung ihr Leben meistern“ – betrachtet werden. Bei der Ansprache oder der Darstellung sollte sich stattdessen auf die Sache konzentriert werden, also z.B. die künstlerische Tätigkeit oder die geplante Kulturveranstaltung, da sonst die Gefahr des Othering besteht.

Verwenden Sie die Mensch-zuerst-Formulierung. Sagen Sie also „Besucher*innen mit Behinderung“ statt „behinderte Besucher*innen“ oder gar „die Behinderten“. Die Mensch-zuerst-Formulierung betont, dass Behinderung ein Aspekt der Person ist, aber diese nicht darauf reduziert werden darf. Allerdings bezeichnen sich manche Menschen selbst etwa als „behinderte Aktivist*innen“ , um ihre Identität und Gruppenzugehörigkeit zu betonen. Außerdem gibt es Menschen, die die Identität-zuerst-Formulierung bevorzugen, also z.B. „gehörlose Menschen“ oder „autistische Menschen“, weil sie die Behinderung als einen wichtigen Bestandteil ihrer Identität ansehen. Fragen Sie im Zweifel also immer die Person selbst, wie sie bezeichnet werden möchte.

Bildsprache

Auch bei der Wahl von Bildmaterial wie Fotos oder Videos sollte auf eine authentische, differenzierte und angemessene Bildsprache geachtet werden. Bilder wirken schneller, direkter und oft auch auf unbewusste Weise. Dadurch besteht die Gefahr, dass Klischees und Stereotype verfestigt werden.

  • Nutzen Sie Bilder von Menschen mit Behinderung nicht nur bei „Inklusionsthemen“.
  • Stellen Sie Menschen mit Behinderung gleichberechtigt dar, betonen Sie die Sache, z.B. die künstlerische Arbeit, und nicht die Behinderung.
  • Bedenken Sie, dass es nicht nur Menschen im Rollstuhl gibt, sondern auch Menschen mit unsichtbaren Behinderungen und chronischen Krankheiten.
  • Achten Sie bei Bildkomposition und -ausschnitt darauf, dass Menschen mit Behinderung Teil des Geschehens sind und nicht am Bildrand landen.

Zielgruppen

In vielen Fällen ist es empfehlenswert, weniger über die Zielgruppe zu sprechen, sondern stattdessen die Angebote der Kultureinrichtung, ihre Formate, Methoden und Maßnahmen zur Barrierefreiheit genauer zu beschreiben. So können potenzielle Besucher*innen und Nutzer*innen sich selbst ein Bild machen und entscheiden, ob sie ein Angebot nutzen wollen oder nicht.

Legen Sie bei Ihren Ankündigungen den Fokus auf das Angebot und weniger darauf, für wen dieses geeignet ist. Anstatt zu schreiben „In unserer Bibliothek gibt es ein Leitsystem für blinde Menschen“ wäre die sinnvollere Formulierung „In unserer Bibliothek gibt es ein taktiles Bodenleitsystem“. Wer das Leitsystem dann nutzt, ist letztlich nicht die Entscheidung der Bibliothek. Es kann blinden, sehbehinderten und sehenden Menschen nützen und auch solchen, die sich selbst gar nicht in eine Kategorie einordnen wollen. Es spricht natürlich nichts dagegen, das taktile Bodenleitsystem trotzdem auch gezielt über Nachrichtenkanäle für blinde und sehbehinderte Menschen zu bewerben.

Ebenso sollte auch eine Veranstaltung oder ein Angebot nicht „für gehörlose Menschen“, angekündigt werden. Besser wäre die Bezeichnung „Veranstaltung in deutscher Gebärdensprache „Veranstaltung in deutscher Lautsprache mit Simultandolmetschung in deutsche Gebärdensprache“ (und/oder Schriftdolmetschung etc.).

Prüfen Sie gründlich, ob die Abfrage einer Behinderung z.B. beim Ticketverkauf oder bei den Formularen für die Anmeldung für eine Veranstaltung sinnvoll ist. Es muss klar sein, warum diese Information abgefragt wird, so z.B. für statistische Zwecke oder als Grundlage für den ermäßigten Eintrittspreis. Nicht jede*r Besucher*in möchte sich „outen“ müssen.

Fragen Sie nach den Bedarfen. Anstatt die Art der Behinderung abzufragen, empfiehlt es sich z.B. zu fragen: „Nutzen Sie Leichte Sprache?“, „Benötigen Sie Assistenz?“ etc. Es sollte niemals nach Diagnosen oder gar ärztlichen Attesten gefragt werden.

 

Szenenaufnahme der Forward Dance Companiy aus dem Stück WIR. Aufnahme von der rechten Seite auf die Bühne. Hellgrauer Bühnenboden, schwarzer Hintergrund vor dem ein großes weißes Textil hängt, auf dem eine schwarze Grafik ein abstrahiertes Gesicht zeigt. Auf der Bühne vier Tänzerinnen. Die Tänzerin links ist schwarz gekleidet und kniet zu den anderen Tänzerinnen gewendet. Ihr gegenüber eine weitere knieende Tänzerin in weiß. Als drittes ein kleiner Tänzer auf den Boden in grauer Kleidung und als vierte eine stehende Tänzerin im hellrosa Kleid von allen anderen abgewendet, leicht im Schritt, in die Knie gehend und den Kopf nach hinten werfend.
Premiere von WIR im LOFFT – DAS THEATER © Thomas Puschmann

Öffentlichkeitsarbeit für Kulturakteur*innen mit Behinderung

Der Slogan „Nichts über uns ohne uns!“ gilt insbesondere dann, wenn in Ankündigungstexten Künstler*innen mit Behinderung genannt werden. Hier müssen diese selbst entscheiden, ob ihre Behinderung überhaupt erwähnt werden soll. Für manche Künstler*innen ist ihre Behinderung ein wichtiger Teil der eigenen Identität und wird von ihnen selbst thematisiert. Im aktivistischen Kontext wird z.B. der Begriff „Cripals Eigenbezeichnung gezielt benutzt und sich dadurch die negative Bezeichnung „Krüppel“ angeeignet. Für andere Künstler*innen hat ihre Behinderung hingegen keine künstlerische Bedeutung und wird dementsprechend auch nicht in Ankündigungstexten genannt.

Verwenden Sie keine reißerischen oder exotisierenden Formulierungen. Etwa: „Der autistische Künstler lebt in einer eigenen Welt“. Viele alltägliche Formulierungen, die neutral scheinen, sind übergriffig und daher unangebracht: „Die Künstlerin leidet unter Multipler Sklerose“. Falls die Information überhaupt relevant ist, dann „hat“ die Künstlerin Multiple Sklerose. Ob sie darunter leidet, ist eine Frage, die sie nur selbst beantworten kann und die in den meisten Fällen nichts im Ankündigungstext einer Kulturveranstaltung verloren hat.

Vermeiden Sie Formulierungen wie „Wir machen ein Inklusionsprojekt“ oder „Dies ist eine inklusive Ausstellung“. Durch die besondere Betonung wird nämlich genau das Gegenteil von Inklusion erreicht: Etwas, das selbstverständlich sein sollte, wird als Besonderheit markiert.

Betonen Sie in der Öffentlichkeitsarbeit die Inhalte bzw. die Sache. Inklusion ist von sich aus noch kein Inhalt und auch kein Thema für eine Kulturveranstaltung, sondern eher eine Haltung oder eine Methode (oder auch Thema für eine Fachdiskussion). Wichtiger als die Betonung von Inklusion ist es, Inhalt und Format der Kulturveranstaltung genauer zu beschreiben und die künstlerische Qualität und die Relevanz oder Aktualität der künstlerischen Arbeiten zu erklären und hervorzuheben.