Neben der Frage, wie Behinderung im Programm reflektiert werden kann und Kunstakteur*innen mit Behinderung möglichst bedarfsgerechte Bedingungen in der Kultureinrichtung vorfinden, muss auch die Teilhabe für Besucher*innen mit Behinderung realisiert werden. Dabei ist zu beachten, dass Menschen mit Behinderung keine homogene Gruppe sind, sondern Persönlichkeiten mit vielfältigem Wissen, verschiedensten Erfahrungen, Bedarfen und Interessen. Das Denken in „Zielgruppen“ kann bei der Konzeption von Programmen aus pragmatischer Sicht helfen, sollte aber immer kritisch hinterfragt und stetig reflektiert werden.
Menschen mit Behinderung als Publikum
„Nichts über uns ohne uns!“
Arbeiten Sie mit der Zielgruppe zusammen. Bei der Entwicklung, Planung und Durchführung von Angeboten sollten Kultureinrichtungen die Perspektive der Personen einbeziehen, die mit einem Angebot erreicht werden sollen, da es schwieriger sein kann, ein fertiges Angebot nachträglich anzupassen. Insbesondere konkrete Maßnahmen der Barrierefreiheit und die Entwicklung unterschiedlicher Methoden sollten schon bei der Konzeption eingeplant werden. Wird bspw. eine Relaxed Performance konzipiert, ist es essenziell, potenzielle Zuschauer*innen und ggf. Begleitpersonen wie Eltern oder Lehrer*innen im Voraus einzubeziehen, um bspw. gemeinsam Ablauf und Pausen, aber auch benötigte Informations- oder Einführungsangebote zu planen. Dabei gilt die Richtlinie „Nichts über uns ohne uns!“ und die Faustregel „Nicht vermuten, sondern nachfragen“.
Mögliche Formen der Zusammenarbeit sind Konsultationen, die Berufung von Beiräten oder kritischen Freunden, die sowohl zu inhaltlichen als auch organisatorischen Fragen konsultiert werden können. Auch die direkte Durchführung eines Angebotes durch Menschen mit Behinderung ist eine Option, z.B. in Form von Co-Moderation oder Tandemführung. Bei einer gemeinsamen Vor-Ort-Begehung können Barrieren aufgedeckt und Lösungen entwickelt werden.
Planen Sie für die Konsultationen ausreichend Zeit und Mittel ein. Etwa für Aufwandsentschädigungen, Honorare, Verpflegung, Fahrtkosten, Barrierefreiheit.
Vielfältige Zugänge
Bieten Sie auch zielgruppenspezifische Angebote an. Es gibt Szenarien, in denen es sinnvoll sein kann, Angebote gezielt für Menschen mit Behinderung bzw. geschlossene Gruppen zu entwickeln. So lässt sich z.B. eine Museumsführung ausdrücklich für blinde und sehbehinderte Menschen anbieten, damit diese nicht das Gefühl haben, von sehenden Teilnehmenden beobachtet zu werden (Stichwort Safe Space). Es muss aber immer auch Termine geben, an denen blinde, sehbehinderte und sehende Menschen gleichzeitig an der Führung gemeinsam teilnehmen können.
Bieten Sie verschiedene inklusive und barrierefreie Angebote regelmäßig und über einen längeren Zeitraum an. Regelmäßig wiederkehrende, langfristig planbare Veranstaltungen haben bessere Chancen, sich zu etablieren, als kurzfristige und unregelmäßige Angebote.
Achten Sie darauf, dass Gäste mit Behinderung innerhalb des Programms eine Wahl haben. Das erreichen Sie z.B., indem jeden ersten Sonntag im Monat eine Relaxed Performance angeboten wird, zwei Lesungen pro Monat in Gebärdensprache angeboten werden, mehrere Theaterstücke pro Spielzeit mit Audiodeskription und Bühnenführungen im Angebot sind oder dass Hilfsmittel wie Induktionsschleife, mobile Hocker, Leih-Rollstühle, Lupen, Lesebrillen, Begleitmaterial zur Verfügung stehen.
Stellen Sie sicher, dass die eingesetzten Hilfsmittel gewartet und funktionstüchtig sind. Das Personal muss entsprechend geschult sein, um den Gästen die Funktionsweise zu erklären.
Achten Sie darauf, dass die angebotenen Vermittlungsmethoden vielfältig und abwechslungsreich sind. Sprache darf nicht der einzige Zugang sein, vielmehr sollten mehrere Sinne angesprochen werden. Der Körper kann gezielt miteinbezogen werden, um Prozesse, Handlungen und Haltungen nachzuvollziehen.
Stellen Sie sicher, dass eine Teilnahme an den Angeboten in ihrem Haus prinzipiell ohne Voranmeldung und ohne Verweis auf eine vorhandene Behinderung möglich ist. Trotzdem kann es teilweise nötig sein, bestimmte Bedarfe, bspw. bei der Anmeldung, abzufragen, etwa ob Gebärdensprach- oder Schriftdolmetschleistungen benötigt werden, da diese rechtzeitig reserviert und gebucht werden müssen.
Denken Sie bei der Programmplanung mit Ihrem Team über vielfältige Zugänge nach, anstatt von der Behinderung auszugehen.
Mobile Angebote
Ziehen sie auch mobile Angebote in Betracht. Manche Menschen können ihre eigene Wohnung, das Pflegeheim oder das Krankenhaus vorübergehend oder dauerhaft nicht mehr verlassen, um eine Kultureinrichtung zu besuchen. Kultureinrichtungen sollten überprüfen, inwieweit sie ihre Angebote zu den Menschen in die Wohn- und Pflegeheime, Krankenhäuser oder Hospize bringen können.
Kulturbegleiter*innen
Organisieren Sie Kulturbegleiter*innen oder Kulturpat*innen. Diese können von der Kultureinrichtung selbst gestellt werden oder in Kooperation mit anderen sozialen Organisationen, wie z.B. Kulturlogen, Selbstvertretungsvereinen, Organisationen der Behindertenhilfe oder Stiftungen, angeboten werden. Kulturbegleiter*innen oder Kulturpat*innen können Gäste mit Behinderung auf unterschiedliche Weise bei einem Kulturbesuch unterstützen, z.B. bei der An- und Abreise, bei der Orientierung vor Ort, bei der Vermittlung von Inhalten oder als soziale Begleitung. Die Schulungen der Begleitpersonen sollten in Zusammenarbeit mit Expert*innen aus Erfahrung erfolgen und praktisch auf die unterschiedlichen Situationen, in denen Unterstützung benötigt wird, vorbereiten.
Begleitmaterialien
Begleitmaterialien und -veranstaltungen sollten Informationen zu inhaltlichen und organisatorischen Fragen zur Verfügung stellen und darüber hinaus barrierefrei in unterschiedlichen Formaten zugänglich sein, z.B. in Großdruck oder als Brailledruck, als Audio-, Foto- oder Videodatei in Leichter oder Einfacher Sprache aufbereitet (weitere Informationen dazu siehe unter Kommunikation und Information). Die inhaltlichen Begleitmaterialien sollten vorbereitende oder weiterführende Informationen zu einem Angebot vorhalten, so z.B. einen Text, der die Handlung eines Theaterstückes beschreibt und die Hauptfiguren vorstellt, einen Ausstellungskatalog, der die ausgestellten Werke erläutert, Gesangs- oder Sprechtexte bei Musiktheaterproduktionen, Vortragsskripte bzw. Texte, die während eines Vortrages erwähnt werden. Diskussionen, Bühnenführungen, Einführungsgespräche, Workshops können vorher, nachher oder begleitend angeboten werden, um zusätzliche Inhalte zu vermitteln. Achten Sie auch hier auf die Barrierefreiheit und berücksichtigen Sie unterschiedliche Bedarfe wie bspw. Schriftdolmetschung, Induktionsschleife oder Begleitmaterialien.