Sebastian Göschel
Konferenzbericht
Konferenzen über Behinderung und Kultur (und Kunst) haben oft einen pädagogischen, therapeutischen oder gar heilenden Ansatz. Immer betonen sie eine spezifische Bedürftigkeit der behinderten Person und geben Hinweise, wie man damit besser umgehen kann. Dadurch wird manchmal (unbeabsichtigt) ein Narrativ von Behinderung als Mangel, als Problem, etwas zu Überwindendens reproduziert. So wertvoll diese Kategorie von Veranstaltungen sein kann, verkennt sie oft einen anderen Ansatz: die inhaltliche, künstlerische, produzierende Perspektive. HEXEN HELDEN HORRORCLOWNS schlug hier einen anderen Weg ein. Bei dieser Konferenz ging es nicht in erster Linie um die Sicht des Publikums, um Inklusion des Publikums, um Barrierefreiheit, sondern viel mehr um die Produzent*innenseite. Und damit eben um Inhalte und Produktionsweisen von Kunst: Wie werden und wurden Menschen mit Behinderung in Kunst und Kultur dargestellt? In welchen Rollen treten sie auf? Welche Stereotype gibt es? Behinderung wird so als inhaltlicher Aspekt von Kunst und Kultur qualifiziert und nicht mehr als „Problem“, das gelöst werden muss. Behinderung ist dann als inhaltlicher Aspekt (und Kategorie) von Kunst und Kultur ernst zu nehmen.
Die Diskussion konzentrierte sich dabei auf drei Fragestellungen:
- Darstellung: Woher stammen die Narrative und Bilder von Behinderung im kollektiven Gedächtnis? Welche Erzählungen, Figuren und Zeichen werden von Kunstwerken geprägt oder aufgebrochen?
- Verantwortung: Welche Kräfteverhältnisse werden durch die Narrative verdeutlicht und verstärkt? Inwiefern betrifft das die Arbeit im Kulturbereich und wieviel Spielraum gibt es in den bestehenden Strukturen?
- Identität: Wie gehen behinderte Künstler*innen heute mit dem ableistischen Erbe im Kulturbereich um? Wie sieht ihre künstlerische Praxis aus und wie wollen sie Behinderung künstlerisch thematisieren?
HEXEN, HELDEN, HORRORCLOWNS war geprägt von einer Haltung, einem Sound: Inklusion als Aktivismus. Inklusion war in allen Beiträgen der Teilnehmer*innen gedacht als aktivistischer Akt bis hin zu der Forderung: Wir alle müssen Aktivist*innen der Inklusion werden! Diese engagierte Haltung war den geschilderten persönlichen und gesellschaftlichen Problemlagen auch aus dem Publikum mehr als angemessen. Exemplarisch wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass „der Behinderte“ keine „Schuld“ an Problemen trägt, sondern die Welt eben (noch) nicht für Menschen mit Behinderung gemacht ist. Ganz im Gegenteil kann im Zuge der Veränderung von Welt Behinderung gar als eine Art Motor für Kreativität und Innovation dienen.
Stilgebend für diese Herangehensweise war der inspirierende Impulsvortrag der Aktivistin und Autorin Amanda Leduc, die sich scheinbar harmlos mit Narrativen des behinderten Körpers in der Literatur beschäftigte. Aber allein der Zugriff auf Behinderung als „Narrativ“ erwies sich als sichtverändernd. Denn diese allgegenwärtigen Narrative sind Bestandteil unserer Kultur und der uns prägenden Kulturgeschichte, werden immer fortgeschrieben, reproduziert und prägen so Gesellschaft und den Umgang mit Behinderung. Sind im schlechtesten Falle Quelle für Ableismus. Leduc legte dar, wie das Narrativ der Behinderung immer vom individuellen Körper aus gedacht wird und nicht als die Sache aller, als gesellschaftliches Phänomen.
Wenn wir allerdings auf die Kraft der Erzählungen vertrauen, dann wissen wir, sie sind der Beginn der Veränderung von Welt. Daher ist auch der kulturelle und künstlerische Kanon einer Inventur zu unterziehen in Bezug auf die Kategorie Behinderung. Ganz ähnlich wie es momentan mit den Themen Kolonialismus oder Rassismus vollzogen wird. Wichtige Fragen, die man sich dabei stellt, sind in den Bereichen ähnlich: Wie kann man beginnen, neue Geschichten zu erzählen? Wie kann man Einfluss darauf nehmen? Kann man auch mehr Menschen mit Behinderung erzählen lassen und ihnen zuhören? Die Frage ist nicht nur wie, sondern wo, wann und vor allem wer erzählt.
Im Verlauf der Konferenz HEXEN, HELDEN, HORRORCLOWNS kristallisierten sich wiederkehrend starke Thesen heraus, die als Denkgrundlage für Inklusion dienen können. Dies geschah sowohl in den inspirierenden Vorträgen (neben Amanda Leduc auch die Bildwissenschaftlerin Anna Drum über das Thema Schaulust anhand von Tod Brownings Kultfilm „Freaks“) als auch in der von künstlerischen Perspektiven geprägten Diskussionsrunde (mit Dr.in Joanna Pawlik, Eric Beier, Dr.in Inga Scharf da Silva).
- Inklusion ist eine Reise
- Behinderung ist eine andere Art und Weise in der Welt zu sein
- Behinderung ist kein Nachteil, sondern bedingender Bestandteil von Diversität
- Behinderung ist genauso ein Lebensgefühl, ein Lifestyle, ein Ausdruck von Freiheit
- Behinderung ist unendlich und kein zu überwindender Zustand
- Behinderung braucht Neugier – mehr Information, mehr reden!
- Inklusion ist lebenslanges Lernen
Die Konferenz HEXEN, HELDEN, HORRORCLOWNS hob sich von anderen Veranstaltungen ab:
- sie versuchte einen inhaltlichen Zugriff auf Behinderung zu erlangen und dabei trotzdem praktisch orientiert zu bleiben
- sie setzte eine Benchmark in Sachen Barrierefreiheit/Zugänglichkeit und behandelt alle Gegebenheiten ganz selbstverständlich, ja mitunter spielerisch-kreativ: Audiodeskriptionen und Übersetzungen in andere Sprachen sind da nur der Anfang; dass jede*r sich selbst beschreibt bevor sie*er spricht, ist eine Selbstverständlichkeit, dass es einen Ruheraum gibt sowieso, auch online funktioniert die Konferenz auf allen Ebenen der Barrierefreiheit problemlos, eine absolute Besonderheit stellt die Co-Moderation (Dirk Sorge mit Anja Dworski) in einfacher Sprache dar – saved in translation!
- nahezu alle Beteiligten auf und hinter der Bühne sind selbst behindert, das Motto „Nothing about us without us!“ wird hier ernst genommen
- ein solidarisches Gebührenmodell sichert auch Personen ohne entsprechende finanzielle Mittel die Teilnahme an der Konferenz.
Sebastian Göschel macht PR für Kultur- und Kreativwirtschaft mit Schwerpunkt Darstellende Künste und Performance. Er arbeitet für verschiedene Festivals, Initiativen und Künstler*innen als Projektmanager, Autor und Berater. Im Zentrum seiner Arbeit steht das Erzählen von Geschichten und die Analyse erzählter Geschichten. Der Theaterwissenschaftler setzt sich dabei theoretisch wie praktisch mit „Körpertechniken des Wissens“ auseinander. Sein besonderes Interesse gilt den Querschnittsthemen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und nicht zuletzt Inklusion. Sebastian Göschel ist Mitglied des Runden Tisches der Servicestelle Inklusion im Kulturbereich.